Ich habe das wunderfreie und erwartungslose Christentum so satt. Ein Christentum, das – noch bevor jemand für Heilung gebetet hat – schon mal präventiv erklärt, warum ein übernatürliches Eingreifen Gottes theologisch gesehen höchst unwahrscheinlich ist. Das es als seine Aufgabe ansieht, allenthalben die Erwartungen an ein Wunder zu dämpfen. Das sich in verzweifeltem Mut vor Gott hinstellt und ihn dafür in Schutz nehmen will, dass er sich aus der Welt zurückgezogen hat. Sind wir etwa Botschafter der Lethargie Gottes?
Ich gehöre auch zu diesen mehrheitlich wunderlosen Christen. Wenn ich die Wunderberichte der Evangelien und der Apostelgeschichte lese, frage ich mich ernsthaft, welche falsche Abzweigung wir genommen haben. Damals waren Wunder und Heilungen der Normalfall. Heute sind wir meilenweit davon entfernt.
Deshalb plädiere ich dafür, dass wir wieder für Wunder beten. Damit meine ich nicht das durchschnittliche «Herr-du-weisst-Paul-ist-krank»-Gebet. Der Herr weiss bereits, dass Paul krank ist. Aber warum kommen wir so selten darüber hinaus? Warum ist «Herr, sei du bei ihm» oft die kühnste Bitte, die wir für leidende Menschen wie Paul hervorbringen?
Weil wir Angst haben.
Angst, dass nichts passiert
Stell dir vor, du hast soeben für Paul gebetet. Laut und mutig hast du ein Heilungswunder für ihn in Anspruch genommen. Dein Amen verhallt im Raum und alle Augen ruhen auf dir. Du erhebst dich und fragst Paul, der vor dir auf dem Stuhl sitzt, ob es ihm besser geht. Er schüttelt nur den Kopf. In seinen schmerzverzerrten Augen siehst du, dass es wieder nicht geklappt hat.
Diese Situation kommt leider vor. Und sie stellt uns vor schwierige Fragen: Ist es nicht Gottes Wille, dass Paul geheilt wird? Hat er zu wenig Glauben? Oder habe ich zu wenig Vollmacht? War die Atmosphäre nicht gut genug? Verschweigt Paul eine verdeckte Sünde in seinem Leben?
Ich plädiere dafür, dass wir nicht zu schnell beurteilen, warum ein Wunder manchmal geschieht und manchmal nicht. Platte Erklärungsmuster («Du hast einfach zu wenig Glauben!», «Du hast Sünde in deinem Leben!», «Deine Gemeinde glaubt zu wenig!») sind nie hilfreich. Oft fügt man damit der leidenden Person noch tiefere Verletzungen zu. Glaub mir: Eine leidende Person hat sich in der Regel schon tausendmal den Kopf darüber zerbrochen, warum sie in dieser Situation steckt. Deine gutgemeinten Patentrezepte, warum Heilung bisher nicht eingetroffen ist, sind nicht gefragt!
Ich plädiere dafür, dass wir nicht zu schnell beurteilen, warum ein Wunder manchmal geschieht und manchmal nicht.
Was machst du also, wenn Heilung nicht eintritt? Wenn Paul immer noch krank vor dir sitzt und du siehst, wie Selbstzweifel in ihm aufkommen? Dann umarmst du ihn. Sprichst ihm zu, dass Gott ihn liebt. Versprichst ihm, dass du in seinem Team bist und weiterhin für ihn beten wirst. Kein Wort der Anklage kommt über deine Lippen. Deine Verzweiflung und dein Klagen über das nicht eingetroffene Wunder deponierst du bei Gott, dort ist es gut aufgehoben.
Ich will auf eine Art und Weise für Menschen beten, dass sie gesegnet werden, egal wie das «Resultat» aussieht. Wenn die Heilung eintritt, ist der Segen offensichtlich: Paul und ich machen die Sektflasche auf und feiern unsern Gott. Und wenn die Heilung nicht eintritt, gibt es keinen Raum zur Anklage. Weder gegenüber der leidenden Person noch gegenüber dem Beter.
Die Gleichung der Krankheit
Die Gleichung, warum Krankheit entsteht, ist zu kompliziert, als dass ein Mensch sie lösen könnte. Hier spielen zu viele geistliche, seelische und körperliche Faktoren mit. Manchmal gibt uns Gott Einblicke und zeigt Lösungswege auf – bei uns oder bei anderen Personen. Dann ist es natürlich hilfreich, dieser Spur nachzugehen. Aber an Patentrezepte glaube ich dennoch nicht.
Ich will zu denen gehören, die mit jeder Faser ihres Körpers an ein Wunder glauben, die aber, wenn das Wunder nicht eintrifft, keinen Augenblick an der Güte Gottes zweifeln. Die nicht eine Sekunde lang die Schuld bei der kranken Person suchen oder ihre wohlformulierten Erklärungsmuster zum Besten geben, warum es diesmal nicht funktioniert hat.
Wer sagt: «Ja, das ist jetzt einfach der liebe (?) Gott, der dich so leiden lässt, damit du stärker wirst», setzt sich auf den Richterstuhl, indem er versucht, dem Kranken seine Krankheit zu erklären. Er wird diesen Richterstuhl sehr schnell und sehr leise verlassen müssen, wenn der lebendige Gott kommt. Es steht uns nicht an, über den anderen zu urteilen, nur weil er krank ist. Wer das nicht glaubt, hat das Buch Hiob wahlweise nicht gelesen oder nicht verstanden.
Es steht uns nicht an, über den anderen zu urteilen, nur weil er krank ist.
Aufbruch im Zerbruch
Also: Du musst nicht eine rücksichtslose Halleluja-Dampfwalze werden, die jeden für geheilt erklärt und dann triumphierend ihres Weges zieht – und dabei ein Trümmerfeld hinterlässt. Du musst aber auch nicht in ein wunderfreies Jammerchristentum absinken, das in fatalistischer Einfältigkeit jede Krankheit und jedes Leiden als gottgegeben abnickt. Es gibt einen Weg, der Grosses von Gott erwartet und gleichzeitig, wenn das Wunder nicht eintritt, zu keinem Zeitpunkt das Vertrauen in ihn verliert.
Lasst uns den Aufbruch wählen, der den Zerbruch aushalten kann. Und lasst uns mehr für Kranke beten!
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