Ich erlebe Gemeinden und Kirchen oft als Restaurants. Da gibt es kleine, lokale Beizen mit heimeliger Stimmung, leicht muffiger Atmosphäre, niedrigen Decken, immer denselben drei Menüs und langjährigen Stammtischgästen. Zwei Strassen weiter stehen Hochglanzrestaurants weltweit tätiger Gastronomie-Ketten mit vielen Besuchern, moderner Einrichtung, hipper Musik und Gourmet-Food zu überhöhten Preisen. Für jeden Geschmack ist etwas dabei. Jeder Hungrige findet das passende Angebot. Bezahlt wird beim Ausgang. Sonntags geöffnet, Montag Ruhetag.
In den Küchen stehen fleissige Pastoren, die in bester Chefkoch-Absicht das Korn des Evangeliums mit komplizierten Kücheninstrumenten der Exegese und Homiletik vermahlen, backen und daraus den Besuchern schmackhafte Menüs zubereiten. Schliesslich wollen die Menschen ernährt werden. Im Zentrum steht der Konsum: Die Menschen kommen hungrig und gehen gesättigt. Was soll daran falsch sein?
Ich glaube, wir sollten die Restaurant-Mentalität unserer Gemeinden radikal überdenken. Dabei will ich niemandem etwas Böses unterstellen und ich schreibe diese Zeilen auch nicht als verbitterter alter Mann. Es ist schlicht die Art und Weise, wie viele von uns das Handwerk erlernt haben. Wir füttern die hungrigen Leute – bis sie am nächsten Sonntagmorgen wieder hungrig vor unseren Toren stehen.
Ich glaube, wir sollten die Restaurant-Mentalität unserer Gemeinden radikal überdenken.
Aber wie wäre es, wenn wir aufhören würden, die Leute permanent zu füttern? Wenn wir ihr ungestilltes Bedürfnis nach Konsum nicht länger bedienen würden? Wie wäre es, wenn aus unseren Restaurants Kornhäuser und Landwirtschaftsschulen würden? Der Aufschrei wäre gross – das geht doch nicht! Ich glaube, langfristig würden wir unseren Gemeindemitgliedern damit etwas Gutes tun.
Kraft zur Multiplikation
Das Evangelium trägt in sich die Kraft zur Multiplikation. Wenn es im Herz eines Menschen nicht auf den staubigen Weg, den steinigen Boden oder unter die Dornen fällt, wächst es und bringt Frucht (vgl. Mt 13,1–23). In einem guten Erntejahr dürfen wir mit 100-facher Multiplikation rechnen. Einen Teil davon wird man konsumieren, das ist auch in Ordnung so. Aber kein Bauer zur Zeit Jesu wäre so gedankenlos gewesen, die gesamte Jahresernte seinen vierzehn hungrigen Kindern zu verfüttern. Konsum ist nicht alles. Einen Teil der Ernte mussten sich die Bauern vom Mund absparen, um die Körner für die nächste Ernte zu säen. Sie mussten auf einen Teil der Nahrung verzichten, und das Korn – manchmal unter Tränen – vor den Augen ihrer hungrigen Kinder in die Erde werfen. Sie mussten der Kraft der Multiplikation vertrauen, um zu überleben: «Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.» (Ps 126)
«Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.»
Was geben wir unseren Gemeindebesuchern: Weissmehlbrot oder saatfähiges Vollkorn? Was ist das Ziel unserer Gottesdienste: dass die Menschen ihre Bäuche füllen und zufrieden davonziehen? Oder dass sie Werkzeuge, Wissen und Ressourcen erhalten, um die Körner des Evangeliums in ihrem eigenen Umfeld aussäen zu können? Ich kenne die Versuchung, die Menschen mit wohlschmeckenden und leicht bekömmlichen Konsum-Predigten abzuspeisen. Dann bin ich der Held. Glücklich und gesättigt verlassen die Leute den Gottesdienst, ihr Mund voll Lobes für den begabten Prediger und sein Fünf-Gänge-Menü.
Die Zeit der Restaurant-Gemeinden war nett. Aber ich glaube, sie ist vorbei. Auf Konsum angelegte Restaurant-Gemeinden dürfen – wenn es gut kommt – mit linearem Wachstum rechnen: Die Zahl der Konsumenten nimmt zu, juhu! Aber das wird zur Erfüllung des Missionsauftrags nicht reichen. Wir können nicht auf die Kraft der Multiplikation verzichten und die Gemeinde mit unseren eigenen Profi-Methoden bauen. Ohne eine virale Basis-Bewegung wird das Königreich nicht signifikant wachsen.
Die Heiligen befähigen
Stell dir für einen Moment vor, die Zeit der sagenumwobenen religiösen Alleskönner wäre vorbei. Die Zeit der hochgezüchteten Fachtheologen, die imstande sind, jedes geistliche Bedürfnis mit einer breiten Palette an religiösen Dienstleistungen kompetent zu stillen. Statt dessen würden ganz normale Menschen im Gottesdienst befähigt und freigesetzt, in ihrem Umfeld Gemeinde zu bauen. Stell dir Leiter vor, die diese Menschen freisetzen. Nicht mit dem Hilfsmittel des Drucks, sondern mit dem Hilfsmittel des Segens – ein grosser Unterschied!
Auch in diesen Gemeinden werden Pastoren gebraucht. Allerdings nicht als religiöse Alleinunterhalter, sondern im Team zusammen mit Aposteln, Propheten, Evangelisten und Lehrern. Fünffältiger statt einfältiger Dienst. Dieser Dienst fungiert als geistlicher Wachstumsanreger:
«Er ist es nun auch, der der Gemeinde Gaben geschenkt hat: Er hat ihr die Apostel gegeben, die Propheten, die Evangelisten, die Hirten und Lehrer. Sie haben die Aufgabe, diejenigen, die zu Gottes heiligem Volk gehören, für ihren Dienst auszurüsten, damit die Gemeinde, der Leib von Christus, aufgebaut wird.» (Epheser 4,11–12)
Ich plädiere nicht dafür, dass sich jeder zweite Christ «Apostel» auf seine Visitenkarte drucken lässt und wir durch die Hintertüre den geistlichen Personenkult wieder einführen. Darum geht es gerade nicht! Das schreibe ich, obwohl ich von der Bedeutung und Aktualität aller fünf Dienste überzeugt bin. Wir sollten nicht länger Ausschau halten nach starken Männern und Frauen, die «den Karren ziehen» und die Arbeit für uns übernehmen.
Leiter sind in der Gemeinde dazu da, eine buchstäbliche Leiter zu sein: Die «normalen Heiligen» für ihre Aufgaben freizusetzen und zu fördern. Menschen in Mündigkeit zu führen. Wachstum anzuregen. Sie sind dazu da, Gemeindeglieder nicht von sich selbst, sondern von Christus abhängig zu machen (Eph 4,15).
Leiter sind dazu da, Gemeindeglieder nicht von sich selbst, sondern von Christus abhängig zu machen.
Vielleicht sollten wir, die religiösen Profis, den Auftrag zum Gemeindebau unseren Gemeindegliedern bewusst zurückgeben. Vielleicht sollten wir ihnen die Erlaubnis geben – schriftlich, wenn es sein muss – bei sich zu Hause Gemeinde zu bauen und das Evangelium zu multiplizieren. Klar, die Fokussierung auf einige wenige Profis hat auch etwas Beruhigendes: Nur wenig kann schief gehen. Ich fürchte aber, sie hat auch etwas Beunruhigendes: Allzu viel kann nicht gut gehen.
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