Die Gemeinde von Jesus Christus hat es prinzipiell mit zwei Herausforderungen (um nicht zu schreiben: Bedrohungen) zu tun. Die kleinere der beiden ist der Teufel mitsamt seinen Helfershelfern, der die Gemeinde mit Stürmen aller Art zu zerstören versucht. Eine ungleich grössere Herausforderung für die Gemeinde ist Gott selbst. Ein verzehrendes Feuer zu beherbergen – das ist für die Gemeinde Auftrag und grösste Herausforderung zugleich.
Wenn unsere Gemeinden diese Herausforderungen überstehen sollen, müssen sie sowohl sturm- als auch feuerfest gebaut sein. Sturmfest, damit sie den gegenwärtig und zukünftigen geistlichen Stürmen mutig und hoffnungsvoll entgegentreten können. Feuerfest, damit sie nicht in Schutt und Asche aufgehen, wenn der lebendige Gott sie mit seiner Gegenwart und Herrlichkeit heimsucht.
Sturm- und feuerfest. Das wird mein Thema sein, das ich in den nächsten Monaten in diversen Blogbeiträgen vertiefen werde. Dabei fliessen etliche Predigtskripte der letzten fünf Jahre ein – gefühlt jede dritte Predigt, die ich in den letzten Jahren gehalten habe, hat in irgend einer Form mit Gemeinde zu tun. In diesem ersten Beitrag möchte ich auf zwei Vorfragen eingehen, um zwei gängige Missverständnisse rund um das Thema Gemeinde zu klären:
Was ist eine Gemeinde?
Stell dir mal deine Kirche, deine Gemeinde vor deinem inneren Auge vor. Stell dir den Ort vor, den du Woche für Woche besuchst. Und dann hol den imaginären Bulldozer hervor und denk dir alles weg: Das Gebäude, den schönen Kirchturm, die bequemen Stühle, die Musikinstrumente, die Kanzel, die Parkplätze vor dem Haus. Stell dir stattdessen eine flache Wiese vor, meinetwegen ein paar Blumen und eine Kuh, die zufrieden darauf grast.
Was bleibt dann übrig von deiner Gemeinde? Die Christen der ersten drei Jahrhunderte trafen sich in Wohnhäusern, in Katakomben, auf Feldern und in Wäldern, in verborgenen Verstecken und Winkeln, kurz: überall, nur nicht in Kirchen. Die Gemeinde ist kein Gebäude. Ein Gemeindegebäude ist eine wertvolle Ressource, die wir nutzen dürfen und sollen. Aber es wäre fatal, zu denken, dass das Gemeindegebäude die Gemeinde ist.
Wenn ich in den folgenden Beiträgen darüber schreibe, dass unsere Gemeinden sturm- und feuerfest gebaut sein sollen, habe ich nie die Gemeindegebäude im Blick. Eine Gemeinde ist nicht aus Backsteinen gebaut, sondern aus lebendigen Steinen: aus Menschen. Gottes Bauwerk besteht aus echten Menschen, aus Beziehungen, aus geistlichen Familien. Ob sich diese Menschen in Hauskirchen, Gemeindehäusern, Kathedralen, Kirchen oder ganz profanen Mietwohnungen treffen, ist völlig belanglos. Zweite Frage:
Was sind die Grenzen einer Gemeinde?
Die Gemeinde Jesu Christi ist grösser als deine Ortsgemeinde. Die Gleichung «Kirche» = «meine Kirche» oder «Gemeinde» = «meine Gemeinde» geht nicht auf. Christus ist nicht zerteilt, er ist einer. Er ist nicht aufgeteilt auf einen charismatischen und einen evangelikalen, einen reformierten und einen katholischen Christus. Es ist ein Christus und darum ist es auch eine Kirche, eine Gemeinde.
Wer gehört zu dieser Gemeinde alles dazu? Was sind die «Konturen» des Leibes Christi? Paulus gibt darauf eine Antwort: «Mit »Einheit« meine ich dies: ein Leib, ein Geist und genauso auch eine Hoffnung, die euch gegeben wurde, als Gottes Ruf an euch erging; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater von uns allen, der über alle regiert, durch alle wirkt und in allen lebt.» (Eph 4,4–6)
Zwei Leiber, zwei Hoffnungen, zwei Geister, zwei Herren und zwei Taufen kann es nicht geben. Alle Menschen, die mit uns an diese geistlichen Realitäten glauben, gehören zum Leib Christi dazu. Die Konturen und Grenzen der Gemeinde legst nicht du fest mit deinen persönlichen Vorlieben, sondern Gott. Und vielleicht setzt er an gewissen Orten eine grössere Weite und an anderen Orten eine grössere Enge an, als uns lieb wäre. Interessant ist, was nicht steht:
Kein Wort verliert Paulus über die Konturen eines Gemeindeverbands oder die Grenzen einer Denomination. Die Konturen des Leibes Christi gehen über deinen geistlichen Schrebergarten hinaus. Es ist uns nicht erlaubt, an den Grenzen unserer Gemeinde Halt zu machen, und es ist auch nicht in Ordnung, unsere Schrebergartennachbarn einfach zu tolerieren. Wir sollen vielmehr «alles daran setzen, die Einheit zu bewahren, die Gottes Geist euch geschenkt hat»(Eph 4,3).
Was Paulus ebenfalls nicht aufführt: eine politische Meinung. Im Leib Christi gibt es Menschen aus dem ganzen politischen Spektrum. Die politische Meinung darf uns nicht trennen – wir müssen diese Weite aushalten – und sie kann uns auch nicht verbinden. Alle stimm- und wahlberechtigten Mitglieder deiner Gemeinde könnten derselben politischen Partei angehören – es hätte auf die Einheit deiner Gemeinde keinerlei Einfluss. Politische Vorlieben sind nicht die Konturen, die Gott seiner Gemeinde gegeben hat. Wir könnten alle dieselbe Hautfarbe haben, denselben Dialekt sprechen, in denselben finanziellen Verhältnissen leben, es würde unsere Einheit im Leib Christi nicht einen Millimeter vorwärtsbringen. Gleichzeitig kann unsere Verschiedenheit in all diesen Bereichen unserer geistlichen Einheit nicht das Geringste antun.
Gott bindet uns zusammen mit einem Band des Friedens (Eph 4,3) . Er hat jede Trennung entfernt. Unsere Aufgabe besteht darin, diese geschenkte Einheit auszuleben.
Ein provozierender Gedanke zum Schluss: Vielleicht hat Gott in seiner unergründlichen Weisheit und seinem subtilen Humor deiner Gemeinde gar nicht alle Gaben und Mitarbeiter gegeben, die ihr so dringend benötigt. Vielleicht hat er den idealen Kidstreff-Leiter und die gesalbte Worshipperin einer anderen Gemeinde in deiner Ortschaft anvertraut. Welche Logik verpflichtet Gott, Rücksicht auf Konturen und Strukturen zu nehmen, die wir selbst geschaffen haben, ohne uns mit ihm abzusprechen?
Wenn das der Fall ist, dann kann deine Gemeinde noch lange den Himmel bestürmen, dass Gott ihnen geeignete Mitarbeiter schenken möge. Gott wird sich unseren Strukturen nicht anpassen .Es wird deutlich einfacher gehen, wenn wir uns seinen Konturen anpassen. Aber das braucht Demut, Sanftmut, Geduld und manchmal ein «Ertragen» in Liebe (Eph 4,2) – für uns, und auch für die «Anderen».
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