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Von einer Prostituierten lernen

«Es lud ihn aber einer von den Pharisäern ein, bei ihm zu speisen; er ging denn auch in die Wohnung des Pharisäers und nahm bei Tische Platz.» – Lk 7,36


Vom Pharisäer und Schriftgelehrten des Neuen Testaments zum Pastoren und Theologen der Gegenwart ist es leider oft nicht weit. Ich darf das schreiben, ich bin einer von ihnen. Wir engagieren uns in intensiven Lehrgesprächen und setzen uns vertieft mit dem Glauben auseinander. Nicht das Säkulare, sondern das Religiöse interessiert uns. Ja noch mehr: Jesus Christus ist unser Gesprächspartner, er sitzt sogar bei uns am Tisch und geht auf unsere Fragen und Argumente ein. Aber seine Füsse sind staubig. Niemand hat sie ihm gewaschen, als er in unser Haus eingetreten ist. Niemand hat ihm einen Kuss gegeben, um ihn zu begrüssen. Niemand hat sein Haupt mit erfrischendem Öl gesalbt, nachdem er in der Gluthitze des Mittags bis zu unserem Haus gewandert ist.


Und dann kommt diese Frau. Alle kennen sie, aber niemand nennt sie bei ihrem Namen. Sie trägt stattdessen einen zweifelhaften Titel: die Sünderin. Vermutlich eine Prostituierte. Dass sie es überhaupt wagt, als unreine Frau in diese Hochburg der Religiosität einzutreten!


«Und siehe, eine Frau, die in der Stadt als Sünderin lebte und erfahren hatte, dass Jesus im Hause des Pharisäers zu Gaste sei, brachte ein Alabasterfläschchen mit Myrrhenöl» – Lk 7,37


In ihrer Hand hält sie kostbares Myrrhenöl, ein Vermögen wert. Jeder Pharisäer im Raum rümpft die Nase beim Gedanken daran, wie sie es sich wohl «erarbeitet» hat. Mit wie vielen Männern hat sie wohl geschlafen, bis das Fläschchen voll war! Es wird totenstill im Raum. Unter den Blicken der religiösen Leiterschaft tritt sie zu den staubigen Füssen von Jesus, der beim Gastmahl liegt.


«und begann, indem sie von hinten an seine Füße herantrat und weinte, seine Füße mit ihren Tränen zu benetzen und sie mit ihrem Haupthaar zu trocknen; dann küsste sie seine Füße und salbte sie mit dem Myrrhenöl.» – Lk 7,38


Instinktiv erheben sich die um Jesus liegenden Pharisäer von ihren Kissen und rutschen beiseite. Sie wollen nicht unrein werden, weil diese Frau ihnen zu nahe kommt. Das Weinen der Frau hallt durch die edlen Räume des Hauses. Laut schluchzend beugt sie sich über die Füsse von Jesus. Dann ein Klirren – sie hat den Kopf des Alabasterfläschchens an einer Kante zerbrochen und giesst den ganzen Inhalt über die Füsse von Jesus. Der Duft des kostbaren Myrrhenöls breitet sich im ganzen Haus aus.


«Als nun der Pharisäer, der ihn eingeladen hatte, das sah, dachte er bei sich: »Wenn dieser wirklich ein Prophet wäre, so müsste er wissen, wer und was für eine Frau das ist, die ihn da berührt, dass sie nämlich eine Sünderin ist.« Da nahm Jesus das Wort und sagte zu ihm: »Simon, ich habe dir etwas zu sagen.« Jener erwiderte: »Meister, sprich!« »Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner; der eine war ihm fünfhundert Denare schuldig, der andere fünfzig; weil sie aber nicht zurückzahlen konnten, schenkte er beiden die Schuld. Wer von ihnen wird ihn nun am meisten lieben?« Simon antwortete: »Ich denke der, dem er das meiste geschenkt hat.« Jesus erwiderte ihm: »Du hast richtig geurteilt.«» – Lk 7,39–43


Eine bizarre Situation – noch immer liegt die Frau weinend zu den Füssen von Jesus am Boden, als dieser mit dem Gastgeber Simon zu sprechen beginnt. Als ob nichts geschehen wäre, stellt Jesus dem Pharisäer eine Lehrfrage. Nachdem er sie richtig beantwortet hat, zeigt Jesus auf die Frau:


«Indem er sich dann zu der Frau wandte, sagte er zu Simon: »Siehst du diese Frau hier? Ich bin in dein Haus gekommen: du hast mir kein Wasser für die Füsse gegeben, sie aber hat mir die Füsse mit ihren Tränen genetzt und sie mit ihrem Haar getrocknet. Du hast mir keinen Kuss gegeben, sie aber hat, seitdem ich eingetreten bin, mir die Füsse unaufhörlich geküsst. Du hast mir das Haupt nicht mit Öl gesalbt, sie aber hat mir mit Myrrhenöl die Füße gesalbt.» – Lk 7,44-46


Kein Bedarf an Vergebung Ich glaube, Jesus zeigt gerade jetzt auf uns und sagt uns diese Worte. Wir machen uns schuldig an einer dekadenten Gelehrsamkeit, die mit Jesus im Dialog steht, ihm aber nicht die Füsse wäscht. Die alle richtigen Antworten über ihn kennt, ihm aber keinen Begrüssungskuss gibt. Wir befolgen alle Gebote und leben, wie es Gott gefällt – aber wenn Gott selbst vor uns steht, salben wir ihm nicht das Haupt mit Öl. Erst recht nicht handeln wir wie die Sünderin, die soeben den Raum betreten hat. Es wäre doch zu emotional oder zu peinlich, vor Jesus niederzufallen wie die Prostituierte. Warum ist das so? Weil wir vergessen haben, was Vergebung bedeutet.

Wir stehen mit Jesus im Dialog, aber wir waschen ihm nicht die Füsse.

Wann hast du das letzte Mal darüber geweint, dass Jesus für dich gestorben ist? Dass er an deiner Stelle am Kreuz hing und dir dadurch Vergebung und Leben ermöglicht hat? Ich meine das nicht im Sinn einer religiösen Übung: nun weine gefälligst! Aber viele, die diesen Text hier lesen, sind seit Jahren oder Jahrzehnten Christen. Und ich weiss selbst, wie es ist: Du erhältst Vergebung am Kreuz. Du wächst im Glauben. Täglich liest du in der Bibel. Immer seltener musst du zum Kreuz gehen und Vergebung empfangen – schliesslich schreitet die Heiligung voran. Die Jahre ziehen ins Land. Unbemerkt und schleichend koppelst du dich von der Vergebung ab und dein Herz wird kalt, hart und stolz. Aus der Prostituierten wird ein Pharisäer. Einer, der «der Vergebung nicht bedarf». Der sich freut, wenn Jesus am Tisch sitzt und der auf Augenhöhe mit ihm spricht. Aber der nicht mehr vor ihm niederfällt und ihn anbetet. Einer, dessen erste Liebe erkaltet ist. Furchtbar!


«Und wenn ich die Gabe prophetischer Rede besässe und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis und wenn ich allen Glauben besässe, so dass ich Berge versetzen könnte, aber die Liebe mir fehlte, so wäre ich nichts.» – 1 Kor 13,2

Bibel ohne Lobpreis ist Quatsch!

Deshalb, meine lieben Mitpastoren und Mittheologen: Der Pharisäer muss aus uns heraus! Theologisches Wissen ohne Liebe und anbetende Hingabe ist nichts wert. Bibel ohne Lobpreis ist Quatsch! Wir sind mit Jesus nicht auf Augenhöhe. Er ist nicht nur ein bewundernswerter Mann oder ein angenehmer Gesprächspartner – er ist Gott! Wir gehören nicht an den Diskussionstisch mit Jesus, sondern zu seinen Füssen, an diesen Ort der Hingabe und der Liebe. Und das Schöne: Man kann auch von dort unten Theologie betreiben. Wirklich gute Theologie kommt von diesem Ort.

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