Stell dir vor, du sitzt gemütlich auf deinem Sofa. Es ist ein Spätsommertag im August. Deine Katze hat es sich auf deinem Schoss gemütlich gemacht und schnurrt leise vor sich hin. Auf dem Beistelltisch steht eine Tasse dampfender Kräutertee. In deiner Hand hältst du das elektronische Gerät deiner Wahl und liest diesen Blogbeitrag.
Plötzlich strahlt ein helles Licht auf. Ein lautes Geräusch, tief wie Donnergrollen und hoch wie Engelsgesang erfüllt den Raum. Die Luft beginnt zu glitzern. Da fährt ein unsichtbarer Blitz durch deine Wohnung und lädt die Atmosphäre auf. Mit einem lauten Knall explodiert die Teetasse auf dem Tisch. Deine Katze plumpst ohnmächtig vom Sofa und landet weich auf dem Teppich.
Erschrocken ziehst du die Beine an den Körper und richtest deinen Blick auf die Mitte des Zimmers. Das seltsame Glitzern sammelt sich zu einem Wirbelwind und erfüllt den ganzen Raum. Und dann geschieht es. Noch bevor du dir theologisch darüber Rechenschaft ablegen kannst, ob Gott das heute noch darf, hörst du laut und klar seine Stimme, wie er aus dem undurchdringlichen Licht heraus zu dir spricht.
Wenn Gott den Himmel öffnet
Noch nie erlebt? Ich auch nicht, obwohl das bei meinem Gott durchaus im Bereich des Möglichen wäre. Es geschieht nicht alle Tage, dass Gott hörbar zu uns spricht. Das ist kein neues Phänomen. Auch in der Bibel kommt es selten vor, zumindest wenn es um eine grössere Gruppe von Menschen geht. Man kann die Stellen in der Bibel, in denen Gott den Himmel öffnet und hörbar zu seinem Volk spricht, an einer Hand abzählen.
Es geschieht nicht alle Tage, dass Gott hörbar zu uns spricht.
Als Gott aus dem von Wolken, Rauch und Donnergrollen umgebenen Berg Sinai zum Volk Israel redete, bekam es solche Angst, dass es kurzerhand Mose als Mittler einsetzte. Er solle mit Gott reden, alles andere sei – so beschloss man – zu gefährlich: «Gott soll nicht mit uns reden, sonst sterben wir!» (Ex 19,19).
Dann blieb es lange Zeit ruhig. Der Himmel öffnete sich nicht mehr. Gott sprach zwar – aber nicht direkt zum Volk, sondern durch seine Propheten. Selbst als das Volk sich von Gott abwandte und begann, fremden Göttern zu opfern, selbst als sie ihre eigenen Kinder auf den Altar des Moloch legten, öffnete sich der Himmel nicht. Gott hatte sehr wohl etwas dazu zu sagen, aber er tat es nicht direkt.
Jahrhunderte vergingen.
Und dann geschah es.
Welche Botschaft würde genug wichtig sein, dass Gott wiederum den Himmel öffnet und spricht?
«Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.» (Lk 3,22)
Ganz de Bappe
Gott spricht diese Worte, während Jesus sich taufen lässt. Und wir spüren: Hier kommt etwas radikal Neues. Dass Gott einen Sohn hat, wusste man im Alten Testament noch nicht – auch wenn Spuren davon schon darin angelegt sind. Aber nun sagt es Gott klipp und klar: Ich habe einen Sohn. Und ich liebe ihn.
Und so macht es nur Sinn, dass der «Vater» eines der Hauptthemen von Jesus ist. Jesus kam, um den Vater zu offenbaren (vgl. Joh 1,18). Kein anderes Thema birgt so viel Zündstoff. Mit Jesus als Wundertäter konnten die religiösen Führer seiner Zeit gut umgehen (vgl. Joh 3,2). Aber wenn Jesus betonte, dass er der Sohn Gottes und damit Gott selbst sei, suchten die Pharisäer in der Regel einige faustgrosse Steine am Strassenrand, um diesen blasphemischen Zimmermann an Ort und Stelle zu töten.
Kein anderes Thema birgt so viel Zündstoff.
Zur Weissglut trieb Jesus die religiösen Führer, als er behauptete: «Ich und der Vater sind eins!«» (Joh 10,30) Er behauptete allen Ernstes, dass er das Wesen des Vaters so akkurat widerspiegle, dass die Menschen in ihm den Vater sähen: ganz de Bappe. Es wurde wieder Zeit für die Steinsuche: «Da holten die Juden wieder Steine herbei, um ihn zu steinigen.»
Ein Raum öffnet sich
«Ich bitte aber nicht für diese allein, sondern auch für die, welche durch ihr Wort zum Glauben an mich kommen, daß sie alle eins seien; wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, so laß auch sie in uns eins sein […]» (Joh 17,20–21)
Hier geschieht das Unglaubliche. Darf ich es ketzerisch formulieren: Jesus öffnet die Dreieinigkeit für uns. Er nimmt uns mit hinein in die Beziehung, die er mit dem Vater hat. Dieselbe tiefe Qualität der Beziehung, die der Vater und der Sohn zusammen haben, sollen auch wir mit ihnen haben. Jesus führt dich in den Raum, in dem sich die stärkste Kraft, das grösste Geheimnis, die tiefste und innigste Beziehung des Universums befindet. Und er lädt dich ein, dort zu bleiben. Willkommen in der Dreieinigkeit. Natürlich wirst du dadurch nicht Gott. Aber du darfst in den Raum der Dreieinigkeit eintreten, Gemeinschaft mit Gott haben.
Jesus öffnet die Dreieinigkeit für uns.
Du spielst eine Rolle in diesem Raum, in diesem Geschehen. Du bist nicht nur ein unbeteiligter Zuschauer, sondern ein Sohn, eine Tochter. Der Vater von Jesus ist dein Vater. Als Kind Gottes bist du mit allen Rechten und Pflichten ausgestattet, die damit verbunden sind. Mit der Autorität einer Tochter und eines Sohnes.
Jetzt schliesst sich der Kreis, der mit der Taufe Jesu begonnen hat. Die Liebe, die zwischen dem Vater und dem Sohn herrscht, öffnet sich für dich. Mit derselben Qualität der Liebe, mit der der Vater den Sohn liebt, liebt Gott dich. Tritt ein in das Beziehungsgeschehen, das Jesus für dich geöffnet hat. Komm in diesen Raum.
Der eine Weg
«Jesus antwortete ihm: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.
Verlier Jesus aus dem Blick und der Weg zum Vater ist versperrt.
Nur Jesus führt zum Vater. Nur Jesus führt in diesen Raum der Dreieinigkeit. Damit verbunden ist auch eine Warnung: Verlier Jesus aus dem Blick und der Weg zum Vater, der Weg zur Herrlichkeit ist versperrt. Deine Predigt und dein Wirken verlieren an Substanz. Dabei ist es völlig belanglos, welches Thema das Vakuum füllt, das entstanden ist: psychologische Tipps zur Lebenshilfe, politische Ideale oder moralisch korrektes Handeln. Nimm Jesus aus einer Gemeinde und sie fällt in sich zusammen oder – was noch schlimmer ist – sie überlebt als religiöse Parodie ihrer selbst. Aber gib Jesus in jede beliebige Gruppe, in deine Familie und deine Schulklasse, in den Turnverein oder in die Fasnachtsclique, in deinen Freundeskreis oder dein Arbeitsumfeld und du hast faktisch eine Gemeinde, auch wenn sie auf dem Papier keine Gemeinde sein mag und auch keine Papier-Gemeinde sein muss.
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