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Die vier Merkmale einer gesunden Kirche

Autorenbild: DaveDave

Sein grauer Bart ist vom Eis verklebt, er hüllt sich in einen warmen Mantel. Den knorrigen Wanderstab lässt er auf den makellos gepflegten Rasen fallen und zieht erschöpft den Rucksack aus, auf dem das schwere Lederzelt aufgeschnürt ist. Vor nur wenigen Tagen ist Lukas, der Autor der Apostelgeschichte, in einem beschwerlichen Marsch über den Gotthardpass auf die Alpennordseite gewandert und hat schnurstracks den Weg zu deiner Kirche unter die Füsse genommen. Auf dem gepflegten Rasen vor dem Gotteshaus schlägt er mit geübten Handgriffen sein Zelt auf.


Rund zwei Monate möchte er hierbleiben und deine Gemeinde kennenlernen. Und damit meine ich nicht nur: eure Gottesdienste besuchen, sondern am Leben der Menschen deiner Kirche teilhaben. Er wird ganz normale Gemeindemitglieder durch ihren Alltag begleiten, er wird mit dir und deiner Familie am Tisch sitzen, er wird die Kirche besuchen, mit euch Abendmahl feiern, beten, beim Kirchenkaffee einige Guetzli knabbern, mit den Menschen diskutieren... kurz: Er wird deine Gemeinde rund 60 Tage lang kennenlernen – natürlich immer mit dem Schreibblock unter dem Arm.


Die Wochen vergehen und der Tag des Abschieds naht. Als Lukas sein Zelt abbricht, kommst du ihm zu Hilfe und packst mit an. Dabei fällt dein Blick zufälligerweise auf den Schreibblock, der neben dem Rucksack auf dem Boden liegt. Mit grossen Lettern steht dort geschrieben: «Was das Leben der Christen in ... prägte, war...»


Lukas hat vier Punkte aufgelistet, die ihm bei euch aufgefallen sind. Nicht die vier Punkte in eurem Leitbild und auch nicht die vier Hauptanlässe der vergangenen zwei Monate. Sondern die vier Dinge, die in den letzten 60 Tagen das Leben deiner Gemeinde – das heisst: das ganz normale Leben der Christen – geprägt haben. Die vier Dinge, für die ihr leidenschaftlich wart. Die vier Punkte, in die ihr Zeit und Herzblut investiert habt.


Welche vier Punkte hat Lukas auf seinem Schreibblock notiert?







«Was das Leben der Christen prägte, waren die Lehre, in der die Apostel sie unterwiesen, ihr Zusammenhalt in gegenseitiger Liebe und Hilfsbereitschaft, das Mahl des Herrn und das Gebet.» (Apg 2,42)


In der Apostelgeschichte nennt Lukas die vier Grundmerkmal der frühen Kirche in Jerusalem. Er macht nach Pfingsten eine Bestandesaufnahme und schält vier Punkte heraus, die das Leben der Christen in Jerusalem prägten:


Lehre der Apostel

«Was das Leben der Christen prägte, waren die Lehre, in der die Apostel sie unterwiesen». Das erste, was Lukas nennt, ist die Lehre der Apostel. Bevor du hier an irgend eine Speziallehre denkst, die uns heute nicht mehr zugänglich ist: Denk mal darüber nach, wer die Apostel sind. Sie sind Augenzeugen von Jesus Christus. Sie sind nicht deshalb Apostel, weil sie speziell charismatisch oder redegewandt wären, gutaussehend oder hochgebildet, sondern weil sie Freunde von Jesus sind. Sie haben Jesus von seiner Taufe im Jordan bis zu seiner Himmelfahrt begleitet. Sie haben die ganze öffentliche Wirksamkeit von Jesus miterlebt.


Die Lehre der Apostel ist Lehre über Jesus. Immer, wenn ein Apostel in der Apostelgeschichte den Mund öffnet (zum Beispiel bei der Pfingstpredigt von Petrus), geht es um Jesus. Falls die frühe Kirche so etwas wie Gottesdienstserien kannte (was ich bezweifle), lauteten sie:

  • Jesus Christus

  • Jesus, der Sohn Gottes

  • Jesus, das Lamm Gottes,

  • Jesus, der Löwe von Juda,

  • Jesus, der verheissene Messias,

  • Jesus in der Torah,

  • Jesus in den Propheten,

  • Jesus in den Psalmen und den Schriften,

  • Jesus, der gute Hirte,


Und dann wieder von vorne. Gemeinde lebt von der Lehre von Jesus. Jesus baut seine Gemeinde auf Menschen, die vom Vater eine Offenbarung über Jesus als Messias und Sohn des lebendigen Gottes erhalten haben. In dem Mass, in dem die Erkenntnis von Jesus wächst, wächst die Gemeinde.


Gemeinschaft

«Was das Leben der Christen prägte, war… ihr Zusammenhalt in gegenseitiger Liebe und Hilfsbereitschaft». Im Griechischen steht hier nur ein Wort: Koinonia – Gemeinschaft. Die frühe Kirche war geprägt von Gemeinschaft. Das ist typisch Jesus. Wenn er seine Gemeinde baut, dann nicht mit komplizierten Strukturen, sondern mit Freunden.

Wenn Jesus seine Gemeinde baut, dann nicht mit komplizierten Strukturen, sondern mit Freunden.

Wenn Jesus nicht gerade auf einem einsamen Berg betete, verbrachte er Zeit mit seinen Jüngern. Zusammen wurde gewandert, gedient, gegessen, gefeiert. Diese Prägung gibt Jesus seiner Gemeinde mit.


Gemeinde ist mehr als Gottesdienst. Sie lebt von jesusmässiger Gemeinschaft, von «Zusammenhalt in gegenseitiger Liebe und Hilfsbereitschaft» - weit über den Gottesdienst hinaus. Es ist etwas, was das Leben der Christen prägt. Gemeinschaft miteinander ist genauso Gemeinde wie der Gottesdienst am Sonntagmorgen. Ich finde das entlastend. Das alltägliche Miteinander, die Begegnung mit Menschen, ist Teil der Kirche. Es ist nicht die Überbrückung, bis wir uns wieder in den heiligen Hallen der Kirche zum Gottesdienst treffen können. Gemeinschaft gehört vollwertig zur Gemeinde dazu und steht damit auf gleicher Stufe neben der Lehre der Apostel.


In einer Zeit, in der unsere Gesellschaft in Milieus, Interessen- und Altersgruppen zersplittert ist, wird Gemeinschaft zu einer Seltenheit und einem kostbaren Gut. Und zu einer Ausdrucksform des Evangeliums. Die frühe Kirche hat diese Gemeinschaft bewusst gepflegt – nicht als Mittel zum Zweck, sondern als etwas Wichtiges und Wertvolles. Wir tun gut daran, diese Gemeinschaft ebenfalls wertzuschätzen und zu pflegen – über die Generationen hinweg.


Brotbrechen

«Was das Leben der Christen prägte,… war das Mahl des Herrn», auf Griechisch: «das Brechen des Brotes». In theologischen Kreisen wird darüber diskutiert, was mit diesem Brotbrechen gemeint ist. Wird hier von einem normalen Gemeinschaftsessen gesprochen oder vom Abendmahl?


Ein früher Christ würde über dieser Diskussion wohl irritiert den Kopf schütteln. Jesusmässiges Brotbrechen ist eben oft beides: zutiefst geistliches Abendmahl und zutiefst gemeinschaftliches Essen, bei dem man satt wird. Früher gehörte zum Abendmahl immer ein Essen dazu. Denken wir nur an das allererste Abendmahl, das Jesus mit seinem Jüngern beim Passafest feierte: Da stand ein gebratenes Lamm auf dem Tisch, ein paar gute Feigen, Oliven, ein guter Wein... In der frühen Kirche gehörten Abendmahl und gemeinsames Essen zusammen.


Gemeinde ist jesusmässiges Brotbrechen: sowohl das gemeinsame Abendmahl als auch die Gemeinschaft bei einem Fondue oder einer Kürbissuppe. Gemeinde findet auch am Esstisch statt. Und warum nicht vor oder nach einem guten Essen gemeinsam das Abendmahl nehmen?


Gebet

«Was das Leben der Christen prägte, war… das Gebet». Im Griechischen steht das Wort in der Mehrzahl: die Gebete. Es ist also nicht an ein bestimmtes Gebet zu denken, sondern an vielfältige Gebete. Ob das wie in unseren Kirchen einzelne organisierte Gebetszeiten waren, weiss ich nicht, aber es spielt auch keine Rolle.


Auf jeden Fall war das Gebet (oder die Gebete) etwas, was die frühe Kirche prägte. Die Gemeinde, wie Jesus sie baut, ist geprägt von Gebet.


Gebet alleine.

Gebet gemeinsam.

Gebet spontan.

Gebet geplant.

Gebet in der Kirche.

Gebet im Wohnhaus.

Gebet im Gottesdienst.

Gebet im Alltag.


Eine Kultur des Gebets. Goldene Gebetsfäden, die sich mitten durch das Leben der Gemeinde hindurchziehen. Eine Art von Gebet, die nicht nur an einer bestimmten liturgischen Stelle im Gottesdienst vorkommt (dort gerne auch), sondern etwas, was darüber hinaus das Leben der Christen prägte. Gebet füreinander und miteinander ist genauso Gemeinde, wie der Gottesdienst Gemeinde ist.


Wenn wir uns das alles vor Augen halten, diese vier Merkmale der frühen Kirche, dann wird deutlich: Gemeinde ist nicht eine Stunde Gottesdienst pro Woche, sondern es ist das Leben der Christen: Es ist der Feiertag und der Alltag, das Sakrale und das Profane. Es ist Lehre und Gemeinschaft, Brotbrechen und Gebet.


Action Step

Was würde Lukas über deine Gemeinde schreiben? Was prägt deine Kirche?

 
 
 

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